Kezira

Die populäre Musik Äthiopiens IV

MUSIK UND POLITIK

Während die Regierung unter Mengistu Haile Maryam’s in den späten siebziger Jahren mit brutalen Methoden ihre Position festigte, – die Zeit des Roten Terrors -, formierte sich in verschiedenen Regionen des Landes der Widerstand. Oromo, Somali 1 und Tigreer 2 widersetzten sich der amharisch-geprägten Dominanz der Zentralregierung 3 und begannen einen langjährigen Kampf um kulturelle Eigenständigkeit und politische Selbstbestimmung, mit unterschiedlichem Erfolg: Äthiopien konnte im Ogaden – Krieg mit Somalia 1977 seine somalischen Gebiete erfolgreich verteidigen, die Oromo Liberation Front (OLF) kämpft bis heute in Ost- und Westäthiopien gegen die Regierung, die seit 1991 von den ehemaligen Guerilla Tigray Peoples Liberation Front (TPLF) dominiert wird.

In Eritrea herrschte ein dreissigjähriger Krieg um die Unabhängigkeit von Äthiopien. Dieser Kampf, der bis Anfang der siebziger Jahre von der Eritrean Liberation Front (ELF) und später von der Eritrean Peoples Liberation Front (EPLF) geführt wurde, prägte die eritreische Gesellschaft tief gehend und lieferte den modernen Nationalmythos Eritreas. 4

Paradoxerweise verstand die EPLF sich ebenfalls als kommunistische Bewegung und begann ab Anfang der achtziger Jahre Musiktruppen aufzustellen, die den militärischen Kampf kulturell begleiten sollten. Dabei wurden oft Kämpfer zu diesen Trupps abkommandiert, die zuvor noch nie in ihrem Leben gesungen, ein Instrument gespielt oder ein Lied komponiert hatten. Doch es ging um die Sache des Volkes und der einzelne hatte sich dem unterzuordnen. So brachten sich die ‘neuen’ Musiker gegenseitig singen und musizieren bei und schrieben ihre Lieder im Kollektiv. Gemäß ihrem Auftrag, mit ihrer Musik die Motivation der Kämpfer zu stärken und in der Bevölkerung um Unterstützung für den Befreiungskampf zu werben, handelten die Lieder dieser Kulturtrupps vor allem vom tapferen Kampf gegen die Unterdrücker, von den Märtyrern und Helden des Krieges und dem Aufbau des blühenden Landes nach dem Sieg.

Die Musik der Befreiungsbewegung bediente sich dabei genauso wie die neo-traditionelle Musik in Äthiopien traditionellen Rhythmen und Melodien. So fanden besonders Rhythmen der Tigrinya und der Tigre Eingang in diese neue Musik. Im typischen Tanz der Tigrinya-sprechenden Bevölkerung Eritreas (und Nordäthiopiens), genannt Gwayla (ጓይላ ‘Gʷayla’), bewegen sich die Tänzer zu einer sehr rhythmusbetonten Musik, gegen den Uhrzeigersinn, in kurzen Schritten trippelnd, in einem großen Kreis.

Diese Art von Tanz spielte auch eine große Rolle in Konzerten und Festivals, welche die Befreiungsbewegungen in Eritrea aber auch unter Exileritreern im Ausland organisierte. So wurden Tänze der einzelnen Volksgruppen Eritreas, genauso im politischen Kampf instrumentalisiert wie dies die äthiopische Regierung. Die Verbindung von Musik und Politik ist daher auch im heutigen unabhängigen Eritrea noch unübersehbar. Jedes Jahr findet ein großes nationales Festival statt, in dessen Rahmen folkloristische Tänze, Theater und auch Solokünstler einen Platz haben.

Viele dieser Sänger und Sängerinnen waren am Unabhängigkeitskampf aktiv beteiligt gewesen. Künstler wie Weddi Tukhul (ወዲ ቱኹል ‘Wäddi Tuḫul’), Fihira (ፊሂራ), Gwal Ankere (ጓል አንከረ ‘Gʷal Ankärä’), Istifanos Zematch (እስጢፋኖስ ዘማች ‘Ǝsṭifanos Zämač’) und Helen Meles (ሄሌን መወስ ‘Helen Mälläs’) konnten ihre Bekanntheit als Mitglieder der Kulturtrupps während des Krieges zum Ausgangspunkt von erfolgreichen Solokarrieren nach 1991 nutzen. Andere wie Yemane Gebre-Mikael (የማነ ገብረሚካኤል Yämanä Gäbrä-Mika’el’), Bereket Mengisteab (በረኸት መንግሥተአብ ‘Bäräḫät Mängəstä’ab’) und Al Amin (አል አሚን) hatten aus dem Exil heraus mit Kassettenproduktion und Konzerttourneen die Sache der Befreiungsbewegung unterstützt.

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  1. Die meisten von Oromo (und vielen anderen zahlenmäßig kleineren Ethnien) bewohnten Gebiete wurden erst Ende des 19. Jahrhunderts durch den damaligen Kaiser Menelik II. (ዳግማዊ ምኒልክ ‘Dagmawi Mənilək’) erobert und dem äthiopischen Staat einverleibt.
  2. Die Tigrinya-sprechenden Bewohner der Region Tigray Nordäthiopiens.
  3. Mit amharisch-geprägt ist in diesem Rahmen die Leitkultur der damaligen politischen Elite gemeint, die sich durch die Verwendung der amharischen Sprache und die Orientierung am äthiopisch-orthodoxen Christentum auszeichnete. Obwohl häufig von der Dominanz der Amharen die Rede ist, muss man feststellen, dass es der amharisch-sprachigen Landbevölkerung nicht besser ging als den Bewohnern anderer Regionen.
  4. Die Figur des Kämpfers, des Tägadalay (ተጋዳላይ ‘Täggadalay’), bildet dabei eine zentrale Rolle

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